Der christliche Anstand

● Eines der wesentlichen und typischen Elemente der Glaubenslehre Jesu besteht ja darin, dass Er den Schwerpunkt nicht auf eine bloß äußere Werkgerechtigkeit gelegt hat, sondern betonte, dass Seine heilsamen Worte vor allem unser Innerstes berührten sollten, und unser Herzen in Seinem Heiligen Geist verändert und umgestaltet würde. Er verlangt von uns eine entsprechende innere Gesinnung, die unseren den anderen Menschen vielleicht sogar als sehr schön erscheinenden äußeren Taten entspricht und uns eigentlich erst auf diese Weise zu wahren Jüngern Jesu Christi macht.
Wir kennen ja das bekannte Wort Jesu: “Nicht jeder, der zu Mir sagt: Herr, Herr!, wird in das Himmelreich eingehen, sondern nur, wer den Willen Meines Vaters tut, der im Himmel ist” (Mt 7,21). Den “Willen” Gottes “tun” bedeutet, bei jedwedem Werk der Gottes- und der Nächstenliebe unbedingt auch eine entsprechend richtige innere Intention zu besitzen, die unsere betreffende Aktivität erst zu einem gottwohlgefälligen Werk macht! Und daran, wie hoch Jesus das nach außen hin sehr kleine Opfer einer “armen Witwe” (“zwei Heller”) erachtete (vgl. Mk 12,41-44), erkennt man, dass es Ihm in erster Linie auf die lautere Absicht und ehrliche Hingabe des Herzens ankommt, mit denen unsere äußeren Werke begleitet werden.
Zur gleichen Zeit warnt uns Jesus auch eindringlich vor “Ärgernissen”, die darin bestehen, dass jemand “einem von diesen Kleinen, die an Mich glauben, Anlass zur Sünde gibt”. Denn “für den wäre es besser, dass ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde. Wehe der Welt um der Ärgernisse willen! Es müssen zwar Ärgernisse kommen; doch wehe dem Menschen, durch den das Ärgernis kommt!” (Mt 18, 6f.)
Und solche Ärgernisse entstehen auch dann, wenn entweder unsere konkreten Taten nicht unseren “frommen” Worten entsprechen oder man deutlich erkennen oder ziemlich leicht darauf schließen kann, dass sich ganz andere Absichten bzw. weit weniger edle Intentionen hinter den betreffenden nach außen hin “schönen” Taten oder “frommen” Worten verbergen.
Wie traurig, wenn man in diesem Zusammenhang manchmal die Klage vernehmen oder selber formulieren muss, wie wenig an sogar elementarem menschlichem Anstand sich bisweilen auch unter so manchen Katholiken finden lässt, die zwar viel von Antimodernismus, der christlichen Moral und Treue zum überlieferten katholischen Glauben sprechen, in der konkreten Praxis aber leider nicht einmal die elementaren Regeln des menschlichen Anstandes und des gerechten Umganges miteinander zu kennen scheinen. Wir alle regen uns schon sehr über jene Menschen auf, die sich nicht zum christlichen Glauben und der Sittlichkeitslehre Jesu bekennen, wenn sie betreffende und großes Ärgernis erregende Untaten begehen. Um wie viel schlimmer, wenn es sich hierbei sogar um sog. “fromme” Christen und kirchennahe Katholiken handeln sollte!
Manchmal hat man in solchen Fällen wirklich den Eindruck, als würden sogar so manche Ungläubige und Atheisten (viel) mehr Gerechtigkeitsempfinden, persönliche Aufrichtigkeit und konsequentere Wahrheitsliebe an den Tag legen als so manche “fromme” Christen und Katholiken. Man bedenke, wie viel Ärgernis da bisweilen erregt wird! Es kann da natürlich jeder einmal einen gewissen Fehler machen, was sehr zu bedauern ist. Aber wenn dies dann nicht “nur” sozusagen in erster Erregung und im Affekt, sondern hartnäckig und systematisch und somit richtig böswillig geschieht, wird ein gewaltiges Ärgernis erregt.
Man denke da daran, wie dies dann z.B. auf jene Menschen wirke, die die katholische Wahrheit vielleicht gerade suchen. Haben sie sich wegen des betreffenden Ärgernisses nicht auch schon von der guten Sache, für die der betreffende “fromme” Personenkreis theoretisch eintritt, leider distanziert bzw. gänzlich davon Abstand genommen? Und welchen Grund zur heftigen Kritik am Katholizismus als solchem liefert man dann auch jenen Bevölkerungsschichten und Medienvertretern, die sowieso schon antikirchlich eingestellt sind und jeden nennenswerteren „Ausrutscher“ seitens eines Katholiken für ihre entsprechende Kampagnen ausnutzen!
● Vielleicht sollten wir uns also zum gemeinsamen Nutzen einige der zentralen Grundsätze in Erinnerung rufen, von denen sich vor allem ein katholischer Christ unbedingt leiten lassen sollte, sofern er wirklich ein Jünger Jesu sein bzw. als solcher dann auch in seinem Umfeld in Erscheinung treten will.
Die erste und unabdingbare Voraussetzung für ein gesundes Glaubensleben ist und bleibt die letztendlich kompromisslose Liebe zur Wahrheit. Im Johannesevangelium spricht Jesus zur Samariterin, dass “die wahren Anbeter den Vater anbeten (werden) in Geist und Wahrheit; denn solche Anbeter will der Vater haben. Gott ist Geist, und die Ihn anbeten, müssen anbeten in Geist und Wahrheit.” (Joh 4,23f.) Wer also Gott sucht und Ihm dienen will, muss auch unbedingt die Wahrheit suchen und lieben! Denn sonst sucht er letztendlich nicht Gott, sondern letztendlich doch nur sich selbst und seinen Vorteil bzw. dient irgendwelchen privaten und egoistischen Interessen.
Wie oft erlebt man den traurigen Fall, dass da jemand zwar vielleicht sogar lautstark vorgibt, z.B. für den überlieferten katholischen Glauben und die betreffenden sittlichen Werte einzutreten, in konkreten Fällen aber manchmal sogar das elementare Interesse für objektive Fakten zu vermissen an den Tag legt. So erlebt man bisweilen Fälle, in welchen “unangenehme” Einwände und Argumente z.B. bewusst und mit viel (abwegiger) Rhetorik in ihrer grundsätzlichen Bedeutung künstlich heruntergespielt oder bei der betreffenden Diskussion in einer rechtsbrecherischen Art sogar gänzlich ignoriert werden - man tut so, als habe man dieses oder jenes Argument überhaupt noch nicht gehört, obwohl es sehr wohl bereits aktuell im Raum stand.
Oder es wird Missgunst gegen den gehegt, der eine andere und einem selbst widersprechende Meinung äußert. Statt den vorgebrachten Argumenten sachlich nachzugehen und sie objektiv zu bewerten, werden in der Öffentlichkeit absichtlich gewisse Verdachtsmomente gegen jenen Betreffenden gestreut, die entweder gänzlich ungerecht oder wenigstens maßlos übertrieben sind. Nicht selten wird im letzteren Fall aus einer (winzigen) Mücke ein (richtig großer) Elefant gemacht! Mit dieser plumpen und durchsichtigen Methode soll halt die Glaubwürdigkeit des anderen erschüttert werden, auch wenn die eine Angelegenheit mit der anderen absolut nichts zu tun hat - man will halt nur vom eigenen oft schwerwiegenden Fehler ablenken und stattdessen den anderen künstlich zum “Bösewicht” hochstilisieren. Zwar mag eine solche höchst unanständige weil die Wahrheit grob verletzende Vorgehensweise nicht wenig verbreitet sein in unserer Gesellschaft - für einen gläubigen katholischen Christen müsste sie aber dennoch gänzlich tabu sein!
Anzutreffen ist leider auch das folgende höchst unsittliche und zutiefst bedrückende Verhalten, bei welchem man gegen solche Personen, die eine andere Meinung vertreten, als man es selbst tut, und die man praktisch von vorne herein populistisch bzw. demagogisch als “Übeltäter” welcher Art auch immer bezeichnet, nicht nur mit solchen billigen und primitiven Mitteln der üblen Nachrede und Verleumdung “durchgreift”, sondern sogar auch davor nicht zurückschreckt, ihnen z.B. im Zusammenhang mit rein theologischen Fragen auch noch juristische Mittel anzudrohen. Was hat das bitte noch mit katholischer Moral und christlichem Anstand zu tun? Und was ist bitte von der Glaubenshaltung eines solchen “Katholiken” zu halten, der zwar kein entsprechendes Interesse an objektiven Fakten und Sachverhalten zu zeigen scheint, seine „Argumente“ aber in die Errichtung von solchen primitiven Drohkulissen verlagert?
Man lasse sich nicht von einer solchen falschen verbalen Rhetorik beeindrucken, irreführen oder sogar täuschen - wer nicht die Wahrheit sucht und letztendlich ihr allein dienen will, sucht auch definitiv nicht Gott in seinen betreffenden unmoralischen Aktivitäten und findet Ihn da folgerichtig auch unter keinen Umständen! Er tut damit traurigerweise nur dem Gegner Gottes einen Dienst, der von Jesus als “Vater der Lüge” (Joh 8,44) bezeichnet wird und nur Verwirrung stiften will...
Man bedenke, wie viel Ärgernis auf diese Weise erregt werde und wie viele Menschen unter Umständen von der guten katholischen Sache, für die der betreffende Personenkreis theoretisch eintritt, Abstand nehmen könnten bzw. dies tragischerweise auch tatsächlich tun.
Bemühen wir uns also, allen für uns in dieser oder jener Angelegenheit noch offenen Fragen im Maße unserer Möglichkeit bzw. nach bestem Wissen und Gewissen nachzugehen, und stellen wir dabei als eine Art erster Schritt niemals etwas als gesicherte Erkenntnis dar, was für uns als solche eigentlich überhaupt noch nicht feststeht. Beherzigen wir dabei auch die ernsten und eindringlichen Worte Jesu, mit denen Er die Dimension der Ehrlichkeit beschreibt: “Denn jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Werke nicht zutage kommen. Wer aber nach der Wahrheit handelt, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke aus Gott getan sind.” (Joh 3,20f.) Denn nur “die Wahrheit wird euch frei machen” (Joh 8,32)!
● Ebenfalls von zentraler Bedeutung für das Glaubensleben bzw. fundamental für eine gesunde Gottesbeziehung ist die aufrichtig verinnerlichte Einstellung der Demut vor Gott und der persönlichen Bescheidenheit vor den Menschen! Gerade wenn man ehrlichen Herzens Gott sucht und sich dabei keiner falschen Illusion hingibt, erkennt man auf der einen Seite die Absolutheit und sittliche Vollkommenheit Gottes, die uns Ehrfurcht und Liebe lehrt, und auf der anderen Seite wird uns die sittliche Gebrechlichkeit bzw. Sündhaftigkeit des Menschen bewusst. Sind wir denn nicht essentiell auf die heilende Gnade Christi angewiesen? Hängen wir denn nicht substanziell von Seiner Erlösung ab? Je mehr wir also glaubenden Blickes Seine Größe erkennen, umso mehr wird uns auch bewusst, wie klein (vor Ihm) wir selbst doch sind, wie sehr wir allen berechtigten Grund zur Demut haben!
Wir sollten also nicht nur äußerlich Kniebeugen machen, sondern vor allem innerlich sowohl vom Bewusstsein der Absolutheit und Heiligkeit, der sittlichen Größe und geistigen Schönheit Gottes ergriffen als auch vom niemals anzuzweifelnden Wissen um die eigene Unwürdigkeit und Abhängigkeit von Ihm erfüllt sein. Es sollen somit sowohl unser Herz als auch unser Verstand ständig von jener ehrlichen Grundhaltung beseelt sein, die in den folgenden tiefen Worten des Hauptmanns von Kapharnaum (vgl. Mt 8,8) und der katholischen Liturgie zum Ausdruck kommt: “Domine, non sum dignus - O Herr, ich bin nicht würdig”! Ist unsere Demut echt und unsere Bescheidenheit aufrichtig, wird dann auch kein Lob und keine Anerkennung seitens der Mitmenschen in uns die Überzeugung von der eigenen Unwürdigkeit zerstören und zu Stolz und Einbildung verleiten.
Schielen wir also nicht in ehrgeiziger und konkurrenzmäßiger Gesinnung auf unsere Mitmenschen (wer denn “größer” sei und wer es “zu was gebracht” habe), sondern betrachten wir den Platz, den wir momentan sozusagen “karrieremäßig” einnehmen (in geistiger wie weltlicher Hinsicht), in erster Linie als eine uns von der Vorsehung Gottes zugewiesene Aufgabe, sich da vor Ihm und der (kirchlichen wie weltlichen) Gemeinschaft zu bewähren! Hat ja Jesus den Aposteln auf die Frage, wer denn der Größte im Himmelreich sei, ausdrücklich eingeschärft: “Wahrlich, Ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr in das Himmelreich niemals eingehen. Wer sich gering macht wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich.” (Mt 18,3f.)
Ringen wir uns also im sittlichen Kampf nicht nur dazu durch, uns lediglich abzufinden mit der Position, die uns sowohl aufgrund verschiedenster historischer wie persönlicher Umstände als auch durch Anweisungen seitens unserer geistigen wie weltlichen Obrigkeit zugewiesen worden ist, sondern machen wir unseren tiefen Frieden damit! Und noch tiefer und echter ist der Glaube und edler die Gottesbeziehung jenes Menschen, der diesbezüglich sogar ausdrücklich eine ehrliche Dankbarkeit empfindet! Gott weiß am besten, welcher Aufgabe wir gewachsen sind, und welcher vielleicht eher nicht oder wenigstens noch nicht. Es ist viel klüger und vernünftiger, auf Gottes Vorsehung zu bauen und Ihn allein zu suchen, als etwa auf eine selbstsüchtige und ungeordnete Art und Weise nach Lob, Ehre und Anerkennung zu trachten und somit seine “Kariere” voranbringen zu wollen: “Baut der Herr nicht das Haus, so mühen sich umsonst, die dran bauen. Hütet der Herr nicht die Stadt, so wacht vergeblich der Wächter” (Ps 126,1).
Geben wir also nicht der mannigfachen Versuchung zum Stolz, zur Selbsteinbildung und Selbstüberschätzung nach, indem wir uns selbst etwa grundsätzlich für besser halten und die anderen dann wie auch immer als geringer erachten oder schlimmstenfalls sogar verachten. Streben wir auch nicht auf ungeordnete Art und Weise - ohne dass wir nämlich auf ordentliche und legitime Weise dazu berufen werden werden - danach, wie auch immer unbedingt mehr sein zu wollen, als wir momentan sind.
Seien wir dann auch jenen Menschen gegenüber nicht böse, die uns etwa in Ausübung ihrer ihnen (etwa von Gott, der Kirche oder rechtmäßigen menschlichen Obrigkeit) übertragenen Verantwortung für uns ermahnen, zur Räson rufen oder an den uns offensichtlich zugewiesenen Platz erinnern sollten. Man lasse nie aus den Augen, wie sehr der Stolz schon bei so manchem Menschen (auch bei Priestern und Ordenspersonen!) Neid, Missgunst und Zwietracht gesät, sein Herz vergiftet und dann sowohl das Fundament einer beseligenden Gotteskindschaft und -freundschaft als auch des vernünftigen und friedlichen Zusammenlebens in der einen oder anderen Art menschlicher Gemeinschaft zerstört hat!
Stellen wir z.B. die Frage, ob wir denn in unserem Herzen eine echte und unser Leben auf eine höhere geistige Stufe erhebende Freude im Glauben und der Gottesgemeinschaft verspüren bzw. einen tiefen Frieden der Seele erfahren. Wenn nicht, dann liegt die Ursache hierfür u.a. vielleicht gerade darin, dass wir noch nicht genug aufrichtige Demut besitzen, sondern uns im Denken und Handeln noch zu sehr von den vielschichtigen Intentionen der Selbstsucht und Überheblichkeit lenken und beherrschen lassen.
Eins ist klar, letztendlich kann nur ein Mensch, der sozusagen bis zur letzten Faser seines Wesens von seiner eigenen Nichtigkeit überzeugt ist, d.h. von einer echten christlichen Demut erfüllt ist, wirklich zur geistigen Höhe Gottes vordringen. Hat man das Privileg, mal einen Menschen zu treffen, der einen wegen der Tiefe seines Glaubens und der Echtheit seiner Gottesnähe sogar richtig inspiriert, kann man sicher sein, dass er ein zutiefst demütiger Mensch ist. (Um wie viel mehr gilt das dann für einen wirklichen Heiligen!) So jubelt ja auch die Muttergottes, die größte aller Heiligen, in ihrem Lobgesang an die Größe und Barmherzigkeit Gottes (Magnificat) in ergreifender Weise: “Er verwirft die Herzen voll Hochmut. Gewalthaber stürzt Er vom Thron, Niedrige hebt Er empor. Hungrige erfüllt Er mit Gütern, Reiche lässt Er leer ausgehen.” (Lk 1,51-53) Ein wahrhaft demütiger Mensch muss sich auch nicht irgendwie künstlich einreden, dass er klein und unbedeutsam sei - dieses Bewusstsein ist bei ihm infolge seines intensiven geistlichen Ringens um Gott und sein Seelenheil zum festen und integralen Teil seines Wesens geworden.
● Sehr gut lässt sich der geistliche Fortschritt eines Menschen, seine Wahrheitsliebe und seine Demut an der Frage ablesen, wie die betreffende Person mit der an ihr zuerst einmal berechtigt geäußerten und sachlich vorgebrachten Kritik umgeht. Keiner von uns ist ja vollkommen und ohne Fehl’ und Tadel. Und keinem von uns gefällt es, kritisiert zu werden - es ist alles andere als leicht, Kritik zu ertragen. Aber wie wir dann damit umgehen, offenbart den jeweiligen Stand unseres Glaubens bzw. den Status unserer Gottesnähe.
Stellen wir uns verschiedene Verhaltensmuster vor, wie wir, Menschen, nicht selten reagieren, wenn an uns korrekterweise etwas bemängelt wird. Nun, der eine will überhaupt nicht über das Thema seiner möglichen Fehler reden und lenkt das Gespräch “diplomatisch” sofort auf ein ganz anderes Thema. Ist ja ziemlich verbreitet. Offenbaren sich darin Wahrheitsliebe und Demut? Wohl kaum.
Der andere will seinen offenkundigen Fehler grundsätzlich nicht zugeben und behauptet, er wollte mit seinen ursprünglichen Worten und Taten eigentlich etwas ganz anderes zum Ausdruck bringen, obwohl es offenkundig feststeht, was er es damals wirklich gesagt und wie er gemeint hat - nämlich entgegen der jetzigen Behauptung. Und weist man ihm sachlich diese mangelnde Wahrheitsliebe nach, wehrt er sich weiter mit irgendwelchen neuen Ausreden gegen das, was offenkundig ist, und verstrickt sich in weitere Widersprüche, was zu zusätzlichem Vertrauensverlust ihm gegenüber führt.
Ein dritter schweigt sich schlicht und ergreifend gänzlich darüber aus und spekuliert darauf, dass das Ganze sich bald schon von selbst beruhigen und erledigen werde. Zwar mag man mit solcher “schlauen” Vorgehensweise auch einen gewissen “Erfolg” haben. Nur trägt das wohl kaum dazu bei, dass das eigene Ansehen in den Augen derer wachse, die in die betreffende Angelegenheit mit involviert sind oder davon wissen. Umso weniger Vertrauen bringt man dann der betreffenden Person gegenüber auch in der Zukunft entgegen, entsprechende nicht geringe “Folgeschäden” eingeschlossen! Sie will ja offensichtlich ebenfalls nicht den objektiven Sachverhalt klären und versucht nur mit einem “Trick”, die anderen für dumm zu verkaufen.
Ein weiterer versucht, die eigentlich notwendigen Zugeständnisse auf die Weise zu vermeiden, dass er sich gegen den, der an seinem Verhalten (in einer wichtigen oder schwerwiegenden Angelegenheit) berechtigterweise etwas zu bemängeln hat, nur aufregt und/oder ihn selbst mit irgendwelchen anderen Vorwürfen überhäuft, die mit der eigentlichen zur Debatte stehenden Frage teilweise sogar überhaupt nicht das Geringste zu tun haben. Dieser Versuch der einschüchternden Ablenkung ist eben auch eine Art, die Wahrheit zu verleugnen und das Recht zu brechen. Und natürlich spricht daraus nicht die geringste Demut, sondern ein ziemlicher Stolz. Man versucht ja, seine Kritiker nur mundtot zu machen - an der Wahrheit selbst zeigt man kein Interesse.
Oder jemand bringt z.B. mit seinem unüberlegten Reden oder übereilten Handeln beträchtliche negative “Turbulenzen” in wichtige zwischenmenschliche Beziehungen hinein bzw. verursacht da eine nicht geringe Unruhe. Und statt dann, wie jeder anständige Mensch, ehrlich die anstehenden wichtigen Fragen zu beantworten und aufzuarbeiten, ausdrücklich die Verantwortung für sein offenkundiges Fehlverhalten und die eventuellen “Folgeschäden” zu übernehmen und sich dafür auch entsprechend aufrichtig zu entschuldigen, zeigt man insofern wenig bis keine echte christliche Einsicht, dass man etwa so tut, als wäre überhaupt nichts gewesen, als wäre alles mehr oder weniger in bester Ordnung. Wo aber, wie auch in diesem Fall, keine echte und wirkliche Klärung irgendeines wichtigen Problems gesucht wird, liegt wohl kaum eine edle christliche Intention vor, auf keinen Fall die eigene Person, sondern die Wahrheit konsequent in den Mittelpunkt zu stellen.
An der Frage, ob und wie bereitwillig man nämlich Kritik aufnimmt und die betreffende Verantwortung übernimmt bzw. die gewonnenen Erkenntnisse dann auch positiv umsetzt, lässt sich gut die Intensität der Gottesbeziehung eines Menschen sowie das Maß seines Anstandes ablesen. Wer da aber zuerst oder hauptsächlich mit Unmut reagiert oder nicht viel darüber hören will, der hat offensichtlich noch viel an entsprechender Arbeit vor sich.
Ein Christ dagegen, dem es wirklich um Gott und die Wahrheit geht, stellt sich vor allem anderen die Frage, ob die erfahrene Kritik an ihm berechtigt ist und sachlich zutrifft oder nicht. Er redet zuerst ruhig und versucht präzise in Erfahrung zu bringen, was ihm da genau vorgeworfen wird. Lässt sich dann klären, dass die Vorwürfe wenigstens in einem Teilumfang zutreffend sind, überwindet er jede falsche Eitelkeit bzw. hält es auch nicht seiner Grundehre für abträglich, dies vor dem betreffenden Personenkreis auch in aller Offenheit und Selbstverständlichkeit zuzugeben und aufrichtig Besserung zu geloben. Diese Grundehrlichkeit wird ihm dann von allen Menschen guten Willens auch hoch angerechnet werden, weil man weiß, dass er seinem Grundwesen nach letztendlich nicht stolz, egozentrisch und verschlagen ist. Man wird es sogar ausdrücklich zu schätzen wissen, woran man nämlich bei ihm ist und dass man sehr wohl Vertrauen zu ihm haben kann!
Ein solcher Mensch wird dann den betreffenden Mitmenschen gegenüber vielleicht sogar ausdrücklich dankbar sein, da sie ihm ja mit ihrer sachlichen Kritik, einem wichtigen Akt tätiger Nächstenliebe, eigentlich helfen, wichtige Schritte in seiner Bemühung um Gott und die Wahrheit bzw. im Streben nach der Vervollkommnung im Geiste Jesu Christi zu machen! Denn letztendlich darf es uns allen weder um die Pflege irgendwelcher persönlicher Eitelkeiten noch um sonstige nur den eigenen Vorteil suchende Interessen gehen - ein echter Christ sucht primär Gott und Seine Ehre, auch und gerade indem er die Wahrheit über alle anderen Teilanliegen gelten lässt!

P. Eugen Rissling

 

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